Authentische Einblicke: Tally Weijl über ihre Schritte hin zu nachhaltigerer Mode
Fast Fashion hat die Branche nachhaltig verändert, aber auch massive soziale und ökologische Herausforderungen mit sich gebracht. Wie kann ein so etabliertes Unternehmen wie Tally Weijl, das lange Zeit vor allem für schnelle Trends stand, auf diese Probleme reagieren? Wir haben mit dem Schweizer Brand über seine Nachhaltigkeitsbemühungen gesprochen – und darüber, wie sie ihre Grösse und Reichweite nun nutzen wollen, um aktiv für mehr Nachhaltigkeit einzustehen.
David Alonso Gomez, Head of Sustainability und Olivia Rambelli, Sustainability Projetleiterin, geben spannende Einblicke zu Tally Weijl’s aktuellen Initiativen, zu laufenden Hürden in der Textilindustrie und der Rolle der Konsument:innen.


Motivation und Vision von Tally Weijl
Der Anlass zur Veränderung: Tally Weijl ist eine etablierte Marke im Fast-Fashion-Segment – was war der Hauptgrund, um den Weg zu nachhaltigeren Praktiken einzuschlagen?
Mode wird seit jeher von zwei Hauptaspekten bestimmt: der funktionalen Seite von Kleidungsstücken – greifbar und messbar – und dem immateriellen Wert, den das Tragen einer bestimmten Marke oder eines bestimmten Designs mit sich bringt.
Bei TALLY WEIJL glauben wir, dass Nachhaltigkeit zu beidem beitragen kann. Denn Nachhaltigkeit ist konkret und nachvollziehbar. Einerseits durch bessere Materialien und Praktiken, und andererseits hat sie gleichzeitig einen emotionalen, immateriellen Wert: Die richtige Wahl zu treffen, gibt uns ein Gefühl der Selbstbestimmung.
Für uns hat sich herauskristallisiert, dass wir unsere Mode zu einer positiven Kraft für Menschen, den Planeten und zukünftige Generationen machen möchten.
Über den Trend hinaus: Was ist die Kernvision hinter dem Engagement von Tally Weijl für Nachhaltigkeit? Geht es um Risikominderung, Markenruf, echte Umweltverantwortung oder eine Kombination allem?
Es ist eine Kombination aus all diesen Faktoren. Je mehr wir die Auswirkungen unseres Handelns verstehen, desto stärker wächst unser Engagement, negative Folgen für Mensch und Umwelt zu reduzieren. Gleichzeitig geben uns die immer zahlreicheren gesetzlichen Vorschriften einen klaren Rahmen vor, der uns dabei hilft, auf dem richtigen Weg zu bleiben.
Für uns ist Nachhaltigkeit eine Möglichkeit, die langfristige Widerstandsfähigkeit unserer Marke in einer sich schnell wandelnden Welt zu stärken. Es geht also auch um den Markenruf und die Minimierung von Risiken. Aber im Kern geht es darum, das Richtige zu tun und verantwortungsvoll zu handeln.
Erfolg definieren: Wie definiert ihr bei Tally Weijl im Hinblick auf eure Unternehmensgrösse und euer Geschäftsmodell den Begriff Nachhaltigkeit? Wie stellt sich ein „nachhaltiges Tally Weijl“ in der Zukunft dar?
Für uns bedeutet Nachhaltigkeit Fortschritt, nicht Perfektion. Wir glauben, dass Mode schnell, erschwinglich und verantwortungsbewusst sein kann. Um dies zu erreichen, muss Nachhaltigkeit ganzheitlich in jede Phase des Lebenszyklus eines Kleidungsstücks integriert werden. Von der ersten Idee, bei der bereits mögliche Auswirkungen berücksichtigt werden sollten, über die Auswahl von Materialien und Lieferanten bis hin zur Logistik und der Nutzung durch Verbraucher:innen.
Unsere Kund:innen spielen dabei auch eine wichtige Rolle Die Art und Weise, wie Kleidung gepflegt wird, kann ihre Lebensdauer erheblich verlängern. Auch die Entscheidungen am Ende ihres Lebenszyklus – ob Reparatur, Wiederverwendung oder Recycling – tragen dazu bei, den Kreislauf zu schliessen.
Die ersten Schritte und aktuellen Initiativen
Konkrete Massnahmen: Könnt ihr einige konkrete Beispiele für die aktuellen Schritte nennen, die Tally Weijl im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsbemühungen umgesetzt hat?
Ja, Tally Weijl hat in den letzten Jahren einige konkrete Schritte unternommen, um nachhaltiger zu werden. Aktuelle spannende Beispiele sind:
- Nachhaltigere Materialien: Im Rahmen unseres Tally Cares-Programms verwenden wir im Vergleich zu herkömmlichen Materialien nachhaltigere Materialien. Im Jahr 2024 enthielten 70 % unserer hergestellten Einheiten eines dieser nachhaltigeren Materialien.
- Pilotprojekte: Wir beteiligen uns aktuell auch an verschiedenen Pilotprojekten. Beispielsweise ein Forschungs- und Innovationsprojekte von Horizon Europe (2022–2026) zum Thema Textilkreislaufwirtschaft sowie ein Schweizer Projekt zum Thema Circular Design (2024–2026). Wir stehen in Kontakt mit Innovatoren im Bereich der Textilnachhaltigkeit, um neue Ideen und Konzepte in unseren Alltag zu integrieren.
- Nachhaltigkeitsbericht: Wir erstellen seit 2023 einen jährlichen Bericht, in dem wir unsere Fortschritte transparent darstellen. Das hilft uns und unseren Kund:innen, nachzuvollziehen, welche Ziele wir erreicht haben und welche noch vor uns liegen.
Schwerpunktbereiche: Auf welche Bereiche konzentrieren sich die aktuellen und geplanten Nachhaltigkeitsinitiativen derzeit hauptsächlich (z.B. Rohstoffe, Produktionsprozesse, Lösungen für das Ende der Lebensdauer)? Warum gerade diese Bereiche zuerst?
Wir konzentrieren uns derzeit stark auf die Bereiche Materialien und Transparenz. Warum? Weil wir hier am schnellsten konkrete Fortschritte machen und gleichzeitig wertvolles internes Wissen und starke Partnerschaften aufbauen können.
- Rohstoffe: Die Wahl der Rohstoffe hat einen entscheidenden Einfluss auf die Umweltbilanz unserer Kleidung. Indem wir gezielt nachhaltigere Materialien einsetzen, können wir die Auswirkungen unserer Produkte klar und messbar reduzieren. So gehen wir direkt an die Wurzel des Problems und schaffen schnell sichtbare Ergebnisse.
- Transparenz: Transparenz ist für uns der Schlüssel, um das gesamte Unternehmen in unsere Nachhaltigkeitsstrategie einzubeziehen. Die Veröffentlichung unseres ersten Nachhaltigkeitsberichts im Jahr 2023 war ein wichtiger Meilenstein. Er hilft uns nicht nur, unsere Fortschritte zu messen, sondern hat auch eine stärkere interne Nachhaltigkeitskultur gefördert.
Die Herausforderungen und Realitäten einer grossen Marke
Das Ausmass der Herausforderung: Was sind für euch als globaler Modehändler die grössten Herausforderungen bei der Umsetzung von nachhaltigen und zirkulären Modellen?
Eine der grössten Herausforderungen ist die Skalierbarkeit und die derzeitige Bereitschaft der Lieferkette. Wir arbeiten mit vielen Lieferanten in verschiedenen Ländern zusammen, von denen jeder seine eigenen Regeln und Systeme hat. Veränderungen brauchen Zeit und Koordination. Unsere Lieferkette ist komplex, und die Kreislaufwirtschaft bringt weitere Herausforderungen mit sich. Wichtige Technologien, wie das Recycling gemischter Textilien, sind noch nicht in grossem Massstab einsatzbereit.
Auch die Einbindung der Kund:innen ist von entscheidend bei all der Komplexität. Sie entscheiden, wie sie ihre Kleidung pflegen und was am Ende der Nutzung mit den Kleidern geschieht. Ihre Entscheidungen bestimmen den Erfolg von Kreislaufmodellen.
Einen Schalter umlegen: Es wird oft gesagt, dass grosse Unternehmen nicht einfach „einen Schalter umlegen“ können, um nachhaltig zu werden. Wo spürt ihr diese Komplexität in den Geschäftsabläufen von Tally Weijl am stärksten?
In der Tat kann man ein Unternehmen nicht einfach stoppen und neu beginnen – aber man kann Schritt für Schritt sinnvolle Veränderungen einführen. Eine der grössten Herausforderungen liegt in der Veränderung der internen Kultur: Nur weil etwas in der Vergangenheit funktioniert hat, heisst das nicht, dass es nicht verbessert werden kann. Die Einführung neuer Arbeitsweisen ist entscheidend.
Diese Umstellung betrifft nicht nur uns, sondern auch unsere Partner in der Lieferkette. Auch hier müssen neue Denk- und Arbeitsweisen eingeführt werden. Und schliesslich spielen auch unsere Kund:innen eine wichtige Rolle, denn sie haben die Macht, den Markt zu beeinflussen und Veränderungen voranzutreiben.
Ein weiterer komplexer Bereich ist die Rückverfolgbarkeit. Es ist eine grosse Herausforderung, jeden einzelnen Schritt unserer Lieferkette nachzuverfolgen – von den Rohstoffen bis zum fertigen Produkt. Gerade in einer schnelllebigen Branche wie der unseren ist das aber entscheidend, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Messung des Fortschritts: Wie messt ihr bei Tally Weijl den Erfolg und die tatsächlichen ökologischen und sozialen Auswirkungen eurer Nachhaltigkeitsinitiativen?
Uns ist es ein wichtiges Anliegen, transparent zu sein und unseren Fortschritt mit konkreten Daten zu belegen. Das erreichen wir durch:
- Bessere Materialien: Wir zählen genau, wie viele unserer Produkte aus nachhaltigeren Materialien wie Bio-Baumwolle oder recyceltem Polyester bestehen. So sehen wir, wie schnell wir uns entwickeln.
- Soziale Standards: Wir überprüfen regelmässig unsere Fabriken durch sogenannte Sozialaudits und arbeiten mit unabhängigen Partnern zusammen, um sicherzustellen, dass die Arbeitsbedingungen fair sind.
- Öffentliche Berichte: Wir haben unseren Nachhaltigkeitsbericht nach dem international anerkannten GRI-Rahmenwerk (Global Reporting Initiative) veröffentlicht. Dort teilen wir detaillierte Informationen über unsere Erfolge und Ziele. So können alle nachvollziehen, was wir tun.
Zusätzlich stellen wir auch auf unserer Webseite wichtige Informationen zur Verfügung, damit unsere Kund:innen unsere Fortschritte jederzeit einsehen können.
Die Zukunft und die Einbeziehung der Verbraucher
Langfristige Vision: Was sind die nächsten Meilensteine oder ehrgeizigen Ziele, auf die ihr gemeinsam bei Tally Weijl für die nächsten Jahre hinarbeitet?
Unsere langfristige Vision konzentriert sich auf mehrere grosse Ziele:
- CO2-Fussabdruck messen: Wir wollen unsere Treibhausgasemissionen genau erfassen, um zu wissen, wo wir am besten ansetzen können, um diese zu reduzieren.
- Klare Berichte: Wir arbeiten daran, unsere Berichte über Nachhaltigkeit noch transparenter zu machen. Dabei orientieren wir uns an den strengen Standards der Europäischen Union (ESRS), die bald für Unternehmen gelten werden.
- Nachhaltigere Materialien: Wir möchten den Anteil an verantwortungsvollen Materialien in unseren Kollektionen weiter steigern.
- Bessere Rückverfolgbarkeit: Es ist uns wichtig, jeden Schritt in unserer Lieferkette genau zu kennen und nachverfolgen zu können, um sicherzustellen, dass unsere Standards eingehalten werden.
- Zusammenarbeit: Durch unsere Mitgliedschaft bei „Sustainable Textiles Switzerland 2030“ treiben wir unsere Ziele voran und arbeiten gemeinsam mit anderen Unternehmen an einer nachhaltigeren Textilbranche.
Ziele im Bereich Kreislaufwirtschaft: Verfolgt ihr auch Initiativen zum Thema Kreislaufwirtschaft?
Ja, wir setzen uns intensiv mit fortgeschrittenen Kreislaufmodellen auseinander. In unseren Schweizer Filialen haben wir bereits ein Rücknahmesystem eingeführt, bei dem unsere Kund:innen ihre Kleidung wieder abgeben können.
Darüber hinaus haben wir im Rahmen eines Schweizer Innovationsprojekts eine spezielle Kapselkollektion entwickelt, die verschiedene Aspekte der Kreislaufwirtschaft berücksichtigt:
- Bessere Materialien: Wir haben noch nachhaltigere Stoffe verwendet.
- Längere Lebensdauer: Wir bieten Reparaturservices an, damit die Kleidung länger getragen werden kann.
- Design für Kreislauf: Wir geben unseren Kund:innen Hinweise, wie sie ihre Kleidung selbst verbessern können.
- Wissen teilen: Wir informieren über verschiedene Kreislaufmodelle, um das Verständnis für Kreislaufwirtschaft zu fördern.
Kundenbindung: Welche Rolle spielen die Kund:innen von Tally Weijl auf eurem Weg zu mehr Nachhaltigkeit? Wie unterstützt ihr sie, bewusstere Entscheidungen innerhalb eurer Brand zu treffen?
Unsere Kund:innen sind ein ganz wichtiger Teil dieser Reise. Wir möchten sie dabei unterstützen, bewusstere Entscheidungen zu treffen. Das machen wir zum Beispiel durch eine bessere Kennzeichnung unserer Produkte, mehr Transparenz und Aufklärung auf unseren Social-Media-Kanälen. Dabei ist es uns wichtig, zugänglich und unterhaltsam zu sein – ganz ohne zu belehren.
Botschaft an den Markt: Welche Botschaft möchtet ihr der gesamten Modebranche und den Konsument:innen hinsichtlich der Bedeutung von Nachhaltigkeit vermitteln?
Wir möchten der gesamten Branche und den Konsument:innen eine klare Botschaft senden: Nachhaltigkeit sollte die Grundlage für alle sein und nicht nur ein Wettbewerbsvorteil. Marken und Behörden müssen zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Jedes Unternehmen sollte in einem nachhaltigen Rahmen handeln, damit wir alle positive Auswirkungen auf unsere Umwelt, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft gewährleisten können.
Wir danken Tally Weijl für die ehrlichen Einblicke in ihren Wandel. Das Fazit ist klar: Nachhaltigkeit ist kein Ziel, das man über Nacht erreicht. Es ist ein dynamischer Prozess, der viele Ebenen umfasst. Tally Weijl zeigt uns, wie ein Anfang geht – mit Programmen wie Tally Care, der Arbeit an besseren Materialien und mehr Transparenz. Gemeinsam mit klaren Regeln und bewussten Entscheidungen von uns allen können wir die Mode von morgen gestalten.