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Real Talk: Wie steht es um Menschenrechte in der Mode? 

Wer sich mit dem eigenen Konsum beschäftigt, hat sich höchstwahrscheinlich schon einmal gefragt, welchen Preis unsere Mode wirklich hat – und wer ihn bezahlt. Längst ist bekannt, dass die Produktion von Kleidungsstücken häufig von harten Arbeitsbedingungen, niedrigen Löhnen und Vernachlässigung von Menschenrechten geprägt ist. Wer heute bewusst und fair konsumieren möchte, ist somit unweigerlich mit der Komplexität der globalen Textilindustrie konfrontiert. Intransparente Produktionsprozesse, lange Handelswege und systemische Ungerechtigkeiten machen es uns Konsument:innen nicht leicht, klare Antworten zu finden.   

Im Gespräch mit Philipp Scheidiger, Geschäftsführer von Swiss Fair Trade, dem Branchenverband für Fairen Handel in der Schweiz, gehen wir einigen wichtigen Fragen auf den Grund. Gemeinsam beleuchten wir die Zusammenhänge zwischen Konsum, Menschenrechten und Verantwortung in der Textilindustrie. Dabei ergründen wir auch, welche Massnahmen nötig sind, um Mode fairer, nachhaltiger und menschenrechtlich vertretbar zu gestalten.   

Philipp, was macht ein faires Kleidungsstück aus?  

Ein faires Kleidungsstück richtet bei Mensch, Tier und Umwelt keinen Schaden an und erzielt im besten Fall eine positive Wirkung. Hunderttausende Menschen arbeiten in der textilen Wertschöpfungskette und daher ist der Faktor Mensch in der Textilproduktion so zentral. Fair zu diesen Arbeiter:innen zu sein, heisst, ihre Menschenrechte anzuerkennen; konkret bedeutet es, dass sie mit ihrer Arbeit einen fairen Lohn während einer normalen Arbeitszeit unter sicheren und würdigen Bedingungen erlangen zu können.   

 Heute ist der Tag der Menschenrechte, kommen wir darauf zu sprechen. In welchen Bereichen der Textilindustrie werden derzeit häufig Menschenrechte verletzt?   

Menschenrechtsverletzungen sind in der ganzen Lieferkette von Textilien zu beobachten.  

Nun, wenn ich es vermeiden will, unter schlechten menschenrechtlichen Bedingungen produzierte Mode zu kaufen: Wie weiss ich, wenn ich etwas kaufen möchte, wie fair das Kleidungsstück produziert wurde?  

Wenn ich im Laden stehe, ist das oft schwierig herauszufinden, da vor Ort nur vereinzelte oder einseitige Informationen vorhanden sind. Besser ist es sich im Vorfeld zu informieren und sich zu überlegen, was einem besonders wichtig ist. Orientierung können einschlägige Labels bieten, oder man richtet sich nach Läden oder Brands, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben. Eine gute Übersicht bietet dazu das Mitgliederverzeichnis von Swiss Fair Trade.

Du sprichst von Labels. Ist Zertifizierung ein geeigneter Ansatz, um die Situation in der Branche zu verbessern? Was gibt es für Vorteile, was für Nachteile?  

Zertifizierungen garantieren gewisse Nachhaltigkeitsstandards und werden, wenn sie richtig aufgestellt sind, durch unabhängige Dritte regelmässig kontrolliert. Da sie auch für die Konsument:in greifbar sind und den Mehrwert direkt aufzeigen, sind sie ein sehr geeigneter Ansatz. Jedoch gibt es besonders im Bereich Textilien eine Vielzahl an Labels, da die Industrie von komplexen und langen Produktionsketten geprägt ist. Häufig konzentrieren sich diese auf einzelne Aspekte der Produktion, was es Konsument:innen erschwert, den Überblick zu behalten. Orientierung bieten hier vertrauenswürdige und weit verbreitete Siegel wie GOTS, Oeko-Tex, Fairtrade und Fair Wear oder die Übersicht auf labelinfo.ch

Weshalb ist es im Moment so, dass Baumwollproduzent:innen und Näher:innen wenig verdienen? 

Dazu gibt es viele Gründe. Einer der Hauptgründe ist, dass die Lieferketten von Textilien lang sind und die produzierenden Menschen geografisch und emotional sehr weit weg von uns sind. In der Schweiz bekommen wir ihre schwierige Situation und ihre Schicksale oft nicht mit. Beim Kauf eines Kleidungsstücks schauen die Konsument:innen stattdessen auf das Design, oder sehen das Image der Marke, als dass sie an die Näher:innen und Baumwollbäuer:innen denken. Diese Entfremdung von Konsument:in und Produzent:in führt dazu, dass letztere für ihre geleistete Arbeit nicht die Wertschätzung bekommen, die sie verdienen.   

Du erwähnst die lange Lieferkette: Warum ist diese in der Textilindustrie so komplex? Welche Probleme treten bei verzweigten Lieferketten auf? 

Der globale Handel hat dazu geführt, dass eine weltweite Spezialisierung mit einem knallharten Kostendruck stattgefunden hat. Produktionsschritte werden heute dort ausgeführt, wo es am billigsten und schnellsten machbar ist. So werden Textilien häufig um die halbe Welt transportiert, bis sie bei uns im Schrank landen. Das führt dazu, dass Marken oder Läden nicht genau sagen können, woher ihre Ware kommt und sich folglich niemand für die Schäden an Mensch und Umwelt verantwortlich fühlt.   

Diese fehlende Zuschreibung der Verantwortung für diese Schäden nutzt die Markwirtschaft schamlos aus. Wenn das Streben nach grösstmöglichem Profit mitunter ein Grund ist, weshalb sich ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Produktion etabliert konnten, stellt sich die Frage: Ist es möglich, dass die Textilindustrie wirklich nachhaltig wird, wenn die Modegiganten weiterhin gewinnorientiert operieren? 

Das ist eine gute Frage. Wir leben in einem marktwirtschaftlichen System und das lässt sich auch nicht so schnell ändern. Daher finde ich es besonders wichtig, dass auch im Finanzmarkt und in den Kennzahlen des Top-Managements dieser Firmen eine Veränderung stattfindet und Nachhaltigkeit als Wert Einzug findet, der für eine langfristig positive Entwicklung einsteht.   

Die Textilindustrie steht unter dem Druck, Produkte zu niedrigen Preisen anzubieten. Welche realistischen Lösungsansätze gibt es, um fair produzierte Textilien für die breite Masse erschwinglich zu machen? 

Die Schäden, die durch die Textilindustrie verursacht worden sind, werden mit jedem Tag sichtbarer. Daher sieht sich die Branche auch zum Handeln gezwungen; dabei sind kollaborative Ansätze zur Ursachenbekämpfung ein erfolgsversprechendes Mittel. Ein gutes Beispiel dafür in der Schweiz ist das Programm «Sustainable Textiles Switzerland 2030». Im Rahmen dieser Initiative bekennen sich bekannte Schweizer Marken, wie Mammut oder Calida, und weitere Unternehmen zu hochgesteckten Nachhaltigkeitszielen gemäss den Sustainable Development Goals der UN und unternehmen gemeinsame Schritte und Massnahmen. Eine einzelne Firma kann diese Probleme selten alleine lösen.   

Als Konsument:in fühlt man sich da oft auch machtlos. Wie nehmen Unternehmen und politische Akteur:innen aktuell ihre Verantwortung wahr, um Veränderungen hin zu faireren Arbeitsbedingungen voranzutreiben? 

Konsument:innen haben mit jeder Kaufentscheidung Macht. Davon lebt die Marktwirtschaft. Unternehmen richten sich nach den Wünschen des Marktes und der Markt sind die Konsument:innen. Es wäre verharmlosend gedacht, wenn man sich mit seiner Kaufentscheidung nicht in der Verantwortung fühlt. Politische Akteur:innen sind dafür da, die Regeln des Systems zu beeinflussen. Daher benötigt es für einen richtigen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit alle drei Parteien: Unternehmen, Konsument:innen und Politik.   

Wo und wie beginne ich, fairer und nachhaltiger zu konsumieren? Wie kann ich als Konsument:in positive Veränderungen anstossen?  Wie nutze ich die zuvor erwähnte Eigenmacht am besten? 

Scheuen Sie sich nicht zu fragen: Fragen Sie sich, ob Sie diesen Artikel wirklich benötigen. Fragen Sie im Laden, ob dieses Produkt fair produziert wurde. Fragen Sie Ihre Kolleg:innen, ob auch ihnen fair hergestellte Produkte wichtig sind. Fragen Sie uns, das Kompetenzzentrum vom Fairen Handel, welche Produkte wirklich fair produziert worden sind und sehen Sie sich die Mitglieder von Swiss Fair Trade an.   

Und nun zuletzt ein positiver Ausblick: Was macht Hoffnung in der Textilbranche? 

Unsere tägliche Arbeit mit Unternehmen, die sich aktiv für soziale und ökologische Nachhaltigkeit engagieren, macht mir Freude und Hoffnung. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren stark gestiegen und ich spüre bei den verantwortlichen Personen viel Veränderungswillen: Steine kommen ins Rollen. Eine Veränderung können wir nur gemeinsam mit Ihnen als Konsument:in, mit den Unternehmen und der Politik bewirken.   

– – –

Swiss Fair Trade ist der Dachverband der Fair Trade Organisationen in der Schweiz. Der Verband setzt sich dafür ein, den Fairen Handel in der Schweiz zu fördern, faire Handelsstrukturen zu stärken und die hohen Anforderungen und Standards an den Fairen Handel zu etablieren. Zu den Mitgliedern von Swiss Fair Trade zählen spezialisierte Handelsorganisationen, Labels sowie NGOs, die sich politisch für eine Stärkung des Fairen Handels einsetzen: www.swissfairtrade.ch

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