So liest du dein Label richtig
Du hältst ein neues Lieblingsteil in den Händen – aber hast du dir das Etikett jemals genauer angesehen? Dort steht mehr als nur die Waschanleitung. Herkunftsland, Materialzusammensetzung, rätselhafte Labels: Diese winzigen Informationen sind der Schlüssel zur wahren Geschichte deines Kleidungsstücks. Sie erzählen von Transportwegen, den verwendeten Ressourcen und den Bedingungen, unter denen es gefertigt wurde.
In einer Welt, in der nachhaltiger Konsum immer wichtiger wird, ist es entscheidend, diese Sprache zu verstehen. Wir entschlüsseln für dich den Code: Finde heraus, ob «Made in Europe» wirklich immer besser ist, welche Materialien die ökologisch klügere Wahl sind und welche Zertifikate dir ein gutes Gewissen beim nächsten Kauf verschaffen. Denn dein bewusster Stil beginnt nicht erst beim Anziehen, sondern schon beim richtigen Lesen des Labels.
Herkunftsland: Das Etikett lügt nicht, aber es verschweigt viel
Der Aufdruck „Made in Europe“ oder „Made in Portugal“ klingt beruhigend, doch er sagt weniger, als man denkt. Dieses Label bezeichnet in der Regel nur das Land, in dem das Produkt seinen letzten wesentlichen Bearbeitungsschritt durchlaufen hat.
Die Realität: Bei einem T-Shirt aus Portugal kann die Baumwolle in Indien angebaut, in der Türkei gesponnen und in China gefärbt worden sein. Eine so lange Lieferkette ist nicht nur ökologisch bedenklich aufgrund der zahlreichen und weiten Transportwege, sondern erschwert auch die Kontrolle der Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette massiv.
Ausserdem: Schlechte oder unsichere Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten und fehlende Gewerkschaftsrechte sind auch in Europa keine Seltenheit. Nicht nur im Globalen Süden, sondern auch hier bestehen grosse Unterschiede zwischen bezahltem Mindestlohn und dem sogenannten Existenzlohn, also dem Lohn, mit dem eine Person und ihre Familie tatsächlich leben können. In Ländern wie Portugal beträgt diese Lücke rund 36 %, in Osteuropa kann sie sogar bis zu 63 % betragen.
Was das Label verschweigt, musst du also aktiv suchen. Achte darauf, ob deine Marke Wege nutzt, um die Lieferkette offenzulegen:
- Digital Passport: Einige Brands arbeiten bereits mit QR-Codes auf den Etiketten oder Hangtags. Scannst du diesen, erhältst du die „digitale Reise“ des Kleidungsstücks, die dir detaillierte Informationen über die Herkunft der Fasern, die Färberei und die Näherei liefert.
- Webseite: Suche auf der Unternehmens-Webseite nach einem Nachhaltigkeitsbericht oder einer Sektion zur Lieferkette. Werden die Produktionsstätten (Färberei, Näherei) namentlich kommuniziert? Gibt die Brand an, aus welchen Ländern oder sogar von welchen Bauernfamilien die Rohstoffe stammen?
Material: Warum faire Fasern noch keine faire Produktion bedeuten
Die Entscheidung aus welchem Material dein neues Kleidungsstück sein soll, hat eine grosse Wirkung auf Mensch & Umwelt. Als ganz einfache Faustregel gilt, dass du pflanzliche Fasern den synthetischen und dass Bio-Anbau dem konventionellen Anbau vorziehen solltest. Warum das so ist, liest du hier:
1. Naturfasern (Baumwolle, Wolle, Leinen): Diese Fasern werden direkt aus der Natur gewonnen, ohne chemische Veränderung. Sie stammen von Pflanzen (z. B. Baumwolle, Leinen, Hanf) oder Tieren (z. B. Wolle, Seide). Sie sind oft biologisch abbaubar, doch ihr Anbau oder ihre Haltung kann je nach Produktionsweise sehr unterschiedliche ökologische Fussabdrücke hinterlassen – das macht die Wahl des richtigen Siegels (z.B. GOTS) so wichtig.
Warum Bio-Baumwolle nicht gleich nachhaltig ist:
- Konventionelle Baumwolle: Gehört zu den pestizidintensivsten Anbaukulturen weltweit. Der sehr grosse Wasserverbrauch und die Belastung der Böden und Gewässer verursachen einen grossen ökologischen Fussabdruck.
- Bio-Baumwolle: Deutlich besser für die Umwelt, da sie ohne Pestizide, Herbizide und Gentechnik angebaut wird und weniger Wasser verbraucht. Aber Achtung: Das Bio-Siegel bezieht sich nur auf den Anbau der Pflanze. Es garantiert noch keine faire Bezahlung für die Bauernfamilien und sagt nichts über die Verarbeitung (Färbung, Veredelung) aus, die danach folgt und oft Chemikalien erfordert.
2. Kunstfasern (Polyester, Nylon, Acryl): Diese Fasern werden meist aus Erdöl hergestellt und sind deshalb nicht erneuerbar. Obwohl sie pflegeleicht und langlebig sind, haben sie erhebliche ökologische Nachteile.
- Ressourcenverbrauch: Für die Herstellung von Kunstfasern werden grosse Mengen fossiler Rohstoffe benötigt. Zwar gibt es inzwischen Alternativen wie recyceltes Polyester aus Textilabfällen, doch auch dieses Material ist nicht biologisch abbaubar und damit keine dauerhafte Lösung.
- Mikroplastik: Ausserdem lösen sich beim Waschen von Kunstfasern winzige Kunststoffpartikel, sogenanntes Mikroplastik. Dieses gelangt ins Abwasser und trägt zur Verschmutzung der Umwelt bei. Waschbeutel oder spezielle Filter können helfen, diese aufzufangen.
3. Halbsynthetische & Zellulosefasern (Viskose, Lyocell, Modal)
- Viskose: Besteht zwar aus Zellulose, einem natürlichen Polymer, das aus Holz gewonnen wird. Da der natürliche Rohstoff jedoch chemisch stark verändert werden muss, um die Faser zu gewinnen, zählt Viskose zu den Chemiefasern.
- Modal wird oft aus Buchenholz gewonnen. Obwohl die Herstellung weniger chemieintensiv ist als bei traditioneller Viskose, wird es nicht zwingend im geschlossenen Kreislauf produziert.
- Lyocell (Markenname Tencel™) wird aus Eukalyptusholz gewonnen und in einem sogenannten „geschlossenen Kreislauf“ produziert. Das bedeutet, dass die Lösungsmittel, die zur Fasergewinnung notwendig sind, nahezu vollständig wiederverwendet werden. Der Stoff ist dadurch umweltfreundlicher und nachhaltiger als die herkömmliche, chemieintensivere Viskose.
Lies mehr dazu in unserem Blog „Nachhaltige Materialien – gestalte deinen Kleiderschrank umweltfreundlich“
Zertifikate: Diese 4 Siegel sind dein Kompass
Da das Herkunftsland und die reine Materialangabe oft nur die halbe Wahrheit erzählen, sind glaubwürdige Textil-Siegel dein verlässlichster Wegweiser beim bewussten Einkauf. Sie fungieren als unabhängige Prüfinstanzen, die die Einhaltung wichtiger Sozial- und Umweltstandards entlang von Teilen oder der gesamten Lieferkette belegen. Sie nehmen dir die Detektivarbeit ab und geben dir die Garantie für mehr Nachhaltigkeit und Fairness.
Merke dir diese vier starken Siegel:
1. GOTS (Global Organic Textile Standard) – Schwerpunkt: Umwelt & Soziales
Kontrolliert den Bio-Faseranteil, verbietet giftige Chemikalien und sichert faire Löhne und Arbeitszeiten. Der „Goldstandard“ unter den Siegeln.
2. Fairtrade Cotton Label – Schwerpunkt: Soziales
Garantiert den Baumwollbauern und Kooperationen Mindestpreise und eine Prämie zur freien Investition in Gemeinschaftsprojekte. Stärkt also die Bauern am Anfang der Kette.
3. Fair Wear Foundation – Schwerpunkt: Soziales
Kontrolliert die Einhaltung von Arbeitsrechten (Löhne, Sicherheit) in den Nähereien und Fabriken sowie bei den Marken selbst – sagt aber nichts über das Material aus.
4. MADE IN GREEN by OEKO-TEX® – Gesundheit, Umwelt & Soziales
Garantiert, dass das Endprodukt frei von gesundheitlich bedenklichen Schadstoffen ist und zusätzlich unter umweltfreundlichen und sozial verantwortlichen Bedingungen hergestellt wurde.
Jedes Kleidungsstück trägt einen QR-Code, über den du die Produktionskette bis zu den Nähereien und Stofflieferanten zurückverfolgen kannst.
Auch weitere Siegel garantieren gewisse Anforderungen. Lies mehr dazu in unserem Blog “Nachhaltigkeitslabels für Textilien – reflect your style”
Pflegeetikett: Dein Schlüssel zur Langlebigkeit und weniger CO₂
Das Pflegeetikett wird oft ignoriert – zu Unrecht! Es ist die Gebrauchsanweisung für maximale Lebensdauer. Falsches Waschen (zu heiss oder zu aggressiv) ist der Hauptgrund für schnellen Verschleiss, Verfärbung und Pilling.
- Achte auf die Symbole: Ein durchgestrichener Waschbottich bedeutet Handwäsche oder chemische Reinigung und gehört nicht in die Waschmaschine. Ein Bottich mit 30 °C oder nur einem Punkt sollte – auch wenn es verlockend ist – nicht mit 40 °C gewaschen werden.
- Grundregeln: Wasche so kalt und so schonend wie möglich. Du sparst nicht nur Energie (ein Drittel des CO2-Fussabdrucks entsteht in der Nutzungsphase), sondern deine Textilien bleiben auch länger in Form.
- Vermeide den Tumbler, wenn es nicht notwendig ist. Lufttrocknen verlängert die Lebensdauer deiner Kleidung.
Lies mehr dazu auf unserer Webseite: “Wäsche richtig waschen – reflect your style”
Fazit: Bewusst kaufen, Transparenz fordern
Lass dich nicht von reinen Marketing-Aussagen wie „Sustainable Collection“ blenden. Nutze dein Wissen für den 3-Schritte-Check am Kleiderständer:
- Woher?
Suche nach Transparenz. Wird die gesamte Lieferkette offengelegt, oder nur der letzte Produktionsschritt? Eine kurze, transparente Kette ist besser als eine lange.
- Material und Siegel?
Ist die Baumwolle bio und fair zertifiziert? Oder ist es nachhaltiges Lyocell? Gibt es ein unabhängiges Siegel wie Fairtrade, GOTS oder Fair Wear an der Etikette??
- Pflege?
Sind die Pflegehinweise realistisch und pflegeleicht? Ignoriere sie nicht, sondern triff deine Entscheidung auch danach, wie aufwändig es gepflegt werden muss.
Mit diesen Guidelines weisst du, wie du Labels richtig liest und kritische Fragen stellst. Nutze dieses Wissen! Denn jede bewusste Kaufentscheidung fordert Marken zu mehr Transparenz auf und trägt aktiv dazu bei, die ethischen und ökologischen Standards in der gesamten Modeindustrie nachhaltig zu verbessern. Sei der Wandel, den du in deinem Kleiderschrank sehen willst!
Teile uns deine Erfahrungen auf Social Media #reflectyourstyle oder via Mail initiative@sts2030.ch